Wohl jeder, der auf Twitter unterwegs ist, ist ihnen schon einmal begegnet: einprägsamen historischen Aufnahmen von John F. Kennedy oder Muhammad Ali, George Harrison oder Jimi Hendrix, von süßen Straßengören oder Schönheiten in Manhattan – und wahrscheinlich haben die meisten von uns auch schon einmal auf den Retweet-Button geklickt.
Twitter-Accounts, die täglich rund zehn solcher Aufnahmen in Umlauf bringen, gehören aktuell zu den „erfolgreichsten“ Projekten in den Sozialen Medien. Alleine die drei Accounts @HistoricalPics, @HistoryInPics und @History_Pics bringen es aktuell auf 3,4 Millionen Follower. Und sie wachsen weiter. @HistoricalPics hat in den letzten zehn Tagen um etwa 30.000 Follower zugelegt, das sind mehr, als die gesamten Follower des nach der Visitatio-Rangliste auf Twitter erfolgreichsten deutschen Museums (Mercedes Benz Museum).
Beeindruckend ist die konstant hohe Zahl an Retweets. Bei einer Stichprobe der jeweils letzten 20 Tweets der genannten Accounts lagen die Werte zwischen 450 und 6.000 Retweets pro Bild. Dass Bilder ein hohes virales Potenzial haben, ist eine bekannte Tatsache, dass man dieses Potenzial gleichsam routinemäßig „anzapfen“ kann, ist schon erstaunlich.
Aus Sicht der Museen, die oft über umfangreiche Bestände digitalisierter Bilder verfügen, drängt sich die Frage auf, ob sie sich diese Mechanismen zunutze machen können, um ein breites Publikum zu erreichen. Es müssen ja nicht gleich Millionen sein, mit einigen Zehntausend wäre man schon gut bedient (siehe oben).
Dazu wäre zunächst genauer zu bestimmen, worin das Erfolgsrezept dieser Fotoverwerter besteht. Die Analyse wird durch den Umstand erschwert, dass die Accounts keinerlei Informationen drüber preisgeben, wer die Betreiber sind und zu welchem Zweck die Bilder publiziert werden. Einigen Journalisten und Bloggern ist es allerdings gelungen, die Macher und ihr Geschäftsmodell ausfindig zu machen (Quellenangaben in unserem Storify zum Thema).
Hinter den Accounts stecken zwei Teenager, Xavier di Petta (17, lebt bei Melbourne) und Kyle Cameron (19, lebt auf Hawaii), die inzwischen von dem etwas älteren Eric Damier unterstützt werden, der ihnen hilft, den Erfolg in ein lukratives Geschäft umzumünzen. Das Geschäftsmodell ist recht simpel: Die gigantisch Reichweite bei Twitter wird dazu genutzt, um Traffic auf Seiten wie KULfoto zu generieren, wo über Werbung (angeblich sehr viel) Geld verdient wird.
Was die Bilder bei den Millionen Followern so beliebt macht, hat die Bloggerin Rebecca Onion – aus kritischer Perspektive – herausgearbeitet: Die Macher setzen erstens auf den emotionalen Gehalt der Bilder, von schockierend (siehe das oben abgebildete Beispiel) bis erbaulich, zweitens auf Vertrautheit und Wiedererkennbarkeit, weshalb das historische Personal auf ein Häuflein ikonischer Gestalten (JFK, Beatles, Bruce Lee …) zusammenschrumpft, und drittes auf einen Schmunzelfaktor, der zum Retweeten animiert.
Und wo das historische Bildmaterial diesen Kriterien nicht entspricht, wird gelegentlich auch nachgeholfen: Bei einem Teil der Bilder handelt es sich, wie Matt Novak zeigen konnte, schlicht um Fälschungen.
Am Rande sei erwähnt, dass auch der Umgang mit Datierungen, Quellenangaben und Urheberrechten lax bis skrupellos ist.
Es versteht sich von selbst, dass es für Museen nicht in Frage kommt, das digitalisierte Kulturerbe auf solche Weise zu „verheizen“. Der (quantitative) Erfolg von HistoricalPics & Co. sollte aber Anlass sein, darüber nachzudenken, wie man das Potenzial historischen Bildmaterials nutzen kann, um ein breites Publikum für die eigenen Inhalte zu interessieren.
Rebecca Onion selbst demonstriert in ihrem Blog The Vault auf slate.com, wie das gehen kann: Jeden Tag präsentiert sie ein historisches Foto, ein Dokument, eine Quelle (oft sind es Gruppen von Objekten), begleitet von einem kurzen erläuternden Text. Natürlich ist der Aufwand hier ungleich höher, und die Schärfe ihrer Kritik hängt, die die Autorin selbst schreibt, auch damit zusammen, dass diese verdienstvolle Arbeit nicht mit den viralen Erfolgen der kommerziellen Konkurrenz belohnt wird.
Schaut man sich die Pinterest-Boards großer Museen an, spürt man, wie zunehmend die Bereitschaft besteht, die Wirkmacht der eigenen Bilder einzusetzen, um ein breites Publikum – auch emotional – zu erreichen. Das hier gezeigte Beispiel des Metropolitan Museum macht deutlich, dass Popularität (Paris – Stadt des Lichts und der Liebe) und Seriösität (Informationen zu den Bildern) durchaus vereinbar sind. Und die über 40.000 Follower, die dieses Pinboard gefunden hat, zeigen, dass ein solches Konzept in der schnelllebigen, oft oberflächlichen Welt der Sozialen Medien durchaus Erfolg haben kann.