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Virtuelle Ausstellung „Der erste Weltkrieg und das Ende des Habsburgerreiches“

Univ. Prof. Dr. Franz X. Eder ist wissenschaftlicher Leiter der virtuellen Ausstellung Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, die am 24. Juni 2014 online geschaltet wurde, sowie des Vorgängerprojekts Die Welt der Habsburger (seit Mai 2010). Er lehrt als Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien und hat zur Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert sowie zu Geschichte und Neue Medien geforscht und publiziert. Wir haben mit ihm über die virtuelle Ausstellung zum Ersten Weltkrieg gesprochen.

Michael Müller: Was einem beim Besuch der virtuellen Ausstellung sofort auffällt, ist neben der Fülle des Materials die Vielfalt der Zugänge. Sie erschließen die Inhalte chronologisch, geografisch, thematisch, nach Medien … Was wollten Sie damit erreichen?

Franz X. Eder: Gegenüber ‚realen‘ Ausstellungen und Ausstellungsbänden hat eine virtuelle Schau ja den großen Vorteil, dass man die ‚Wege‘ durch das Material und die Texte sehr vielfältig gestalten kann.

 

Unsere Zielsetzung ist es, den BesucherInnen bzw. UserInnen die Möglichkeit zu geben, sich über Themenschwerpunkte, historische Personen, Landkarten, aber auch über die verschiedenen Medien (wie Tagebuchtexte, Filmausschnitte, Bilder, Tondokumente etc.) zu nähern. Hat man dann eine interessante Story oder ein Kapitel samt Ausstellungstücken gefunden, wird man zu weiterführenden Objekten und Themen verwiesen – kann aber auch intuitiv oder entlang der persönlichen Perspektiven und Interessen ‚weitergehen‘. Im Sommer 2014 werden wir diese Optionen noch um eine ‚semantische Suche‘ und grafische Darstellung der Suchergebnisse ergänzen.

MM: Was unterscheidet eine ‚semantische Suche‘ von einer normalen Volltextsuche?

FE: Durch die semantische Suche zeigen sich themenverwandte Inhalte für die BesucherInnen noch deutlicher. Bei dieser Suche wird nicht nur das Vorkommen des jeweiligen Begriffes in den Seiten bzw. Kapiteln eruiert, sondern auch nach themennahen Begriffen (nachrangig) gesucht. Damit reagieren wir auf die Erfahrung, dass manchen BesucherInnen, etwa SchülerInnen, die ‚korrekten‘ Suchbegriffe fehlen und sie deshalb zu keinen ‚guten‘ Suchergebnissen kommen. Die grafische Ausgabe zeigt dann durch ‚Nähe‘ und ‚Ferne‘ an, welche sonstigen Themen bzw. Begriffe an den zentralen ‚Knoten‘ eines Themas ‚hängen‘; also eine Art Text-Cloud mit grafischer ‚Verknotung‘.

Ergänzt wird auch noch ein ‚simples‘ Inhaltsverzeichnis über den gesamten, sehr umfangreichen Bestand. Ich denke, dass wir mit diesem multiplen Zugang ein recht breites Publikum ansprechen können: Personen, die ohne einen fixen ‚Plan‘ durch die Schau ‚streifen‘ und bei spannenden Objekten und Texten halt machen und sich vertiefen wollen, aber auch BesucherInnen, die sehr gezielt nach Informationen und Themen suchen.

MM: Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der Sozial- und Alltagsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Wie schlägt sich dies in der Auswahl und medialen Aufbereitung der digitalen Exponate nieder?

FE: Schon bei der Konzeption haben wir nicht nur an die ‚traditionelle‘ Kriegsgeschichte, also an die Schlachten, ‚großen Gestalten‘ – die Kaiser, Könige, Politiker und Generäle – gedacht, sondern auch und insbesondere an den Alltag und das ‚normale‘ Leben während des Krieges. Es werden also die Zeitumstände aus der Perspektive der Herrschenden und politisch Mächtigen genauso dargestellt wie die Erlebnisse und Erfahrungen der ‚einfachen Leute’. Wir wollen mit der Ausstellung ‚große’ Politik und privates Schicksal, Militär und Zivilgesellschaft aus teils ambivalenten Blickwinkeln zeigen.

MM: Mit der virtuellen Ausstellung Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie knüpfen Sie an die erfolgreiche virtuelle Ausstellung Die Welt der Habsburger an. Welche Erfahrungen haben Sie aus diesem ersten Projekt mitgenommen? Was haben Sie bewusst anders gemacht oder weiterentwickelt?

FE: Bei der vielfach prämierten Ausstellung Die Welt der Habsburger haben wir sehr positive Rückmeldungen zum Navigations- und Interaktionskonzept erhalten und vieles davon weitergeführt. Was uns dort gefehlt hat, waren historische Fund- und Erinnerungsstücke, die aus der Bevölkerung stammen bzw. mit denen wir eine Einbindung von interessierten Personen erreichen können. Diesen Aspekt haben wir jetzt aufgenommen und werden ihn eventuell noch weiterführen. Die virtuelle Ausstellung umfasst deshalb auch Ergebnisse eines Sammelaufrufs an die österreichische Bevölkerung, der hunderte unbekannte Objekte, Texte und Bilder zugänglich gemacht hat – vieles davon ist bisher auf Dachböden und in Schubladen verstaubt und wurde für die Ausstellung ‚gehoben‘. Auch unveröffentlichte Quellenmaterialien der „Dokumentation lebensgeschichtlicher Aufzeichnungen“, der „Sammlung Frauennachlässe“ (beide an der Universität Wien) und aus Privatbesitz wurden visualisiert. So sind scheinbar ‚unbedeutende‘ Objekte wie Kriegspostkarten oder ein „Gold gab ich für Eisen“-Ring in die Schau gekommen, die vor allem etwas über den Alltag während des Krieges aussagen.

MM: Wie bereiten Sie das Material aus Ihrer Crowdsourcing-Kampagne auf, wie binden Sie es in die virtuelle Ausstellung ein?

FE: Gegenüber Quellensammlungen oder auch Datenbanken mit historischen Dokumenten lassen wir diese Fund- und Erinnerungsstücke nicht ‚vereinzelt‘ (mit einem Objekttext) stehen, sondern vernetzen sie mit den Stories und anderen Objekten – auch hier werden wir das digitale Storytelling noch weiter verdichten.

MM: Die Fülle des in der virtuellen Ausstellung präsentierten Materials ist beeindruckend: rund 700 Seiten Text und über 1.000 Objekte. Hat die Ausstellung den Charakter eines Kompendiums?

FE: Nein, wir wollten kein Online-Kompendium zum Ersten Weltkrieg erstellen. Was sich in der Vorgänger-Ausstellung bewährt hat, ist die ‚breite‘ textuelle Aufbereitung am aktuellen Stand der Wissenschaft – neben basalen wissenschaftlichen Informationen, finden Sie in der neuen Schau auch mehr journalistische und ‚flottere‘ Textsorten. Wir möchten so ein heterogenes deutschsprachiges und internationales Publikum ansprechen: Schüler und Schülerinnen sowie Studierende; allgemein an Geschichte interessierte Personen; durch die englische Sprachversion wird zudem ein internationales Publikum adressiert, das sich für die Geschichte des Ersten Weltkrieges oder für die Geschichte der Habsburgermonarchie und die Entstehung Österreichs interessiert.

MM: Das Medium Internet bietet die Chance, gerade auch ein jüngeres Publikum anzusprechen. Haben Sie diese Zielgruppe bei Ihren Planungen berücksichtigt? Gibt es Angebote für Kinder und Jugendliche?

FE: Das ist uns ein wichtiges Anliegen. Im Wintersemester 2014/15 können Schulklassen mit ihren LehrerInnen im Rahmen eines Schülerwettbewerbs eigene Unterrichtsmaterialien und -pakete zum Ersten Weltkrieg kreieren und einreichen. In Form ‚forschenden Lernens’ sollen die erstellten Unterrichtseinheiten an Orte, Regionen, Personen, Ereignisse und Erinnerungen im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg anknüpfen. Wenn möglich, sollen die Schulklassen auch einen Bezug zur Gegenwart und dem schulischen bzw. persönlichen Umfeld der SchülerInnen herstellen. Die besten praxisorientierten Unterrichtsbeispiele werden zudem prämiert.

MM: Herr Professor Eder, wir danken für dieses Gespräch!

Hier noch einmal der Link zur virtuellen Ausstellung  Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie.

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